Wie das Einfrieren der Wahlkreisabgrenzung Indiens Marginalisierte um ihre Stimme bringt

Die jüngste Forderung südindischer Politiker*innen nach einer weiteren Aussetzung der Wahlkreisabgrenzung für 30 Jahre widerspricht den Werten der Verfassung. Denn was auf den ersten Blick wie föderale Selbstverteidigung gegen eine politische Dominanz des Nordens erscheint, benachteiligt bei genauerem Hinsehen Dalits, Frauen und die Demokratie insgesamt. Politische Repräsentation für Dalits und Adivasi ist in der indischen Verfassung proportional zur jeweiligen Bevölkerungszahl und aktuell basiert die Sitzverteilung immer noch auf der Volkszählung von 2001. Gleichzeitig zeigen neuere Daten, wie die Kastenzählung in Bihar 2022, ein signifikantes Bevölkerungswachstum unter Dalits. Das Einfrieren der Abgrenzung verhindert die angemessene Anpassung der Mandatsverteilung und verwehrt ihnen damit ihren rechtmäßigen Anteil an politischer Macht.

Besonders gravierend ist auch die Auswirkung auf die Frauenrepräsentation. Der 106. Verfassungszusatz sieht die Reservierung eines Drittels aller Sitze in den Parlamenten für Frauen vor, jedoch erst nach der nächsten Neuabgrenzung. Indien steht damit vor einem Paradox: eine Demokratie, die sich rühmt, die größte der Welt zu sein, hält an einem Wahlsystem fest, in dem einzelne Stimmen unterschiedlich viel Gewicht haben. Die Wahlkreise sind aufgrund veralteter Bevölkerungsdaten massiv verzerrt. Besonders in schnell wachsenden oder schrumpfenden Regionen entstehen massive Ungleichgewichte, was die Legitimität und Akzeptanz des Wahlsystems schwächt. Studien belegen, je größer ein Wahlkreis, desto geringer Wahlbeteiligung und politische Teilhabe.

Zwar ist das Misstrauen gegenüber der politischen Hegemonie des Nordens nicht unbegründet, auch Ambedkar warnte 1948 vor der „Vorherrschaft des Nordens“, doch die Antwort darf nicht in einer politischen Starre liegen, die marginalisierte Gruppen strukturell benachteiligt. Stattdessen braucht es föderal ausgewogene Lösungen wie eine Abgrenzung basierend auf der Wähler*innenzahl, die Stärkung der Rajya Sabha oder neue Schutzmechanismen für Minderheitenrechte. Demokratie bedeutet nicht, Veränderungen zu fürchten, sondern sie gerecht für alle zu gestalten.

Mehr dazu hier: https://www.deccanherald.com/opinion/a-frozen-democracy-how-delimitation-delays-betray-the-marginalised-3477087

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