Indiens Geschichtsschreibung zwischen Bildung und Ideologie

Die Auseinandersetzung um Schulbücher des Nationalen Rates für Bildungsforschung und Ausbildung (NCERT, National Council of Educational Research and Training) verdeutlicht einmal mehr, wie umkämpft Geschichtsschreibung in Indien ist. In jüngsten Überarbeitungen für die 8. Klasse werden muslimische Herrscher*innen nahezu ausschließlich als grausam und bilderstürmerisch dargestellt. Verschwiegen wird, dass Armeen und Verwaltungen in jener Epoche religiös gemischt waren und dass Gewalt, Tempelzerstörungen und Massaker Herrschaftspraktiken vieler Könige waren - unabhängig von Religion oder Herkunft.

Besonders deutlich wird die selektive Erzählung am Beispiel Aurangzebs. Seine Tempelzerstörungen werden prominent erwähnt, seine zahlreichen Zuwendungen an hinduistische Tempel hingegen ausgeblendet. Auch Babars Testament, das Respekt gegenüber hinduistischen Praktiken einforderte, bleibt unerwähnt. Diese einseitige Darstellung verfestigt muslimische Könige als Feindbilder und knüpft an koloniale Narrative an, die Machtkämpfe religiös aufluden, obwohl sie primär von Herrschafts- und Ressourceninteressen geprägt waren.

Unterschlagen werden auch die kulturellen und spirituellen Bewegungen derselben Epoche:  Das Aufblühen von Bhakti und Sufismus, die Entstehung des Sikhismus oder die „Ganga-Jamuni tehzeeb“, eine gemeinsame Kultur aus Hindu- und Muslimtraditionen. Damit wird jungen Schüler*innen ein einseitiges Geschichtsbild vermittelt, das Vielfalt und Durchdringung indischer Traditionen unsichtbar macht. Vor diesem Hintergrund wächst die Sorge, dass das NCERT nicht mehr Bildung, sondern ein gemeinschaftliches Narrativ vorantreibt, mit weitreichenden Folgen für das gesellschaftliche Miteinander.

Mehr dazu hier: https://www.newsclick.in/ncert-history-tool-promoting-divisive-hate

Zurück